Beschluss vom 15. Mai 2019
Lehnt ein Vollstreckungsgericht eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung mit der Begründung ab, dass der Gefahr eines Suizids des Betroffenen durch dessen zeitweilige Unterbringung vor Erteilung des Zuschlags begegnet werden könne, muss es sicherstellen, dass die zuständigen Stellen rechtzeitig tätig werden. Mit dieser Begründung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss der Verfassungsbeschwerde einer Vollstreckungsschuldnerin stattgegeben, der im Zwangsversteigerungsverfahren Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO versagt worden war. Die Kammer hat den entsprechenden Beschluss des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen. Der Beschluss lasse nicht erkennen, dass das Gericht geeignete – der Suizidgefahr effektiv entgegenwirkende – Vorkehrungen sorgfältig geprüft und insbesondere deren Vornahme sichergestellt habe.
Sachverhalt:
Die 53jährige alleinstehende Beschwerdeführerin beantragte im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens ihres Hausgrundstückes Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO. Die Fortführung des Versteigerungsverfahrens gefährde ihre Gesundheit und ihr Leben akut. Der mit dem Zuschlag verbundene Verlust ihres Hausgrundstücks werde eine unkontrollierbare psychische Überbelastung verursachen und lebensbeendende Suizidhandlungen sehr wahrscheinlich machen. Zum Beweis ihres Vortrags bot die Beschwerdeführerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
Das Amtsgericht führte den bereits angesetzten Versteigerungstermin durch. In einem gesonderten Verkündungstermin wies es den Vollstreckungsschutzantrag zurück und erteilte dem Meistbietenden den Zuschlag. Die Suizidgefahr sei nicht ausreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht worden. Zudem fehle es an Vortrag, wie die Beschwerdeführerin selbst zur Verbesserung ihres Gesundheitszustands beitrage.
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin stellte das Landgericht Dessau-Roßlau die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss einstweilen ein und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Die Gutachterin kam zu dem Ergebnis, dass der Verlust des Hauses bei dem aktuellen psychischen Zustand der Beschwerdeführerin geeignet sei, eine lebensbeendende Handlung sehr wahrscheinlich zu machen.
Das Landgericht wies die sofortigen Beschwerden gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts sowie die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Beschluss des Landgerichts verstößt gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Hierbei missachtet das Landgericht jedoch zum einen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da es verkennt, dass die Sachverständige die (unfreiwillige) Unterbringung erst als zweiten Schritt nach einer tagesklinischen oder stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer psychiatrischen Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses empfiehlt. Für eine stationäre Behandlung gegen den Willen der Beschwerdeführerin spricht sich die Sachverständige hingegen erst für den Fall aus, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich sein sollte, entsprechende Fortschritte innerhalb von sechs Monaten zu machen. Die angegriffene Entscheidung enthält keine Ausführungen dazu, warum eine einstweilige Einstellung unter der Erteilung von Auflagen im Hinblick auf die von der Sachverständigen angeführten Therapiemöglichkeiten nicht in Betracht kommt, zumal die Sachverständige diese offenbar für erfolgversprechend hält.
Zum anderen lässt der angegriffene Beschluss nicht erkennen, dass das Landgericht geeignete – der Suizidgefahr effektiv entgegenwirkende – Vorkehrungen sorgfältig geprüft und insbesondere deren Vornahme sichergestellt hat. Allein der Verweis auf die Möglichkeit der Unterbringung genügt nicht. Vielmehr hat das Vollstreckungsgericht sicherzustellen, dass die für eine Unterbringung nach polizeirechtlichen oder betreuungsrechtlichen Vorschriften zuständigen Stellen Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Schuldners getroffen haben.
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