Von der Schuldenfalle in die Beratungsfalle zum Umsetzungsdefizit - zehn Jahre Restschuldbefreiung, ein Erfolg?
Mit den Krisen sind nicht nur die Unternehmensinsolvenzen, die vor 2008 eine erfreuliche Entwicklung genommen hatten, in die Höhe geschnellt. Die Zahl der Privatinsolvenzen (Insolvenzverfahren natürlicher Personen), die lange Zeit auf hohem Niveau verharrte, ist kräftig gestiegen. Seit über zehn Jahren gibt es für natürliche Personen die Möglichkeit der Restschuldbefreiung, eingeführt mit der viel gelobten, aber auch viel beargwöhnten Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999.
Das Ziel des Gesetzgebers war, überschuldeten Privathaushalten eine neue Perspektive zu geben und sie mit der Restschuldbefreiung aus der Schuldenfalle zu lösen. In den ersten Jahren wurde im Wesentlichen der „Rückstau“ aufgelöst, der sich in Erwartung der neuen Vorschriften zur Restschuldbefreiung an Antragsvolumen gebildet hatte. Bald stellte sich heraus, dass die Voraussetzung der erfolgreichen Restschuldbefreiung die Regelung der Kostenfrage im Sinne einer Übernahme oder zumindest ein Vorstrecken der Kosten durch den Staat war.
§4a der Insolvenzordnung regelt die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens, um eine sonst unvermeidliche Abweisung des Insolvenzantrages zu vermeiden. Diese Regelung ist nach der derzeitigen Gesetzeslage unvermeidlich, weil die Durchführung des Insolvenzverfahrens Voraussetzung des sich daran anschließenden Verfahrens zur Restschuldbefreiung ist.
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz kennt neue Tatbestände in der Beratungshilfe, die an das Erfordernis eines vorgerichtlichen Einigungsversuches anknüpfen.
Schuldnerberatungsstellen bei öffentlichen Trägern sind zur Durchführung des vorgerichtlichen Durchlaufs zugelassen und werden bei entsprechendem Nachweis der Bedürftigkeit tätig.
Entsprechend den Regelungen zur Prozeßkostenhilfe fallen allerdings die Verfahrenskosten in voller Höhe an und sind lediglich bis zum Ende der Restschuldbefreiung gestundet.
Was hat die Neuregelung zur Restschuldbefreiung gebracht? Die Schuldenfalle erwischt nach wie vor viele Haushalte, die materiell auf Kante leben. Das vorgerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren kann nur von einem zugelassenen Schuldenberater oder einem Rechtsanwalt durchgeführt werden. Dadurch entsteht ein regional unterschiedlich hoher Bearbeitungsstau, der zu Wartezeiten von bis zu einem Jahr bei den kostenlos arbeitenden Schuldnerberatungsstellen führt. Das Schuldenbereinigungsverfahren ist vor dem vereinfachten Insolvenzverfahren aber zwingend vorgeschaltet.
Als Konsequenz daraus geht für die Restschuldbefreiung nur der zum Anwalt, der es sich leisten kann. Aber wer kann das schon, wenn er hoch verschuldet ist? Zudem sind viele Schuldnerberater oft unzureichend ausgebildet. Sie können zwar die Formulare fehlerfrei ausfüllen, aber keine wirklich umfassende Beratung leisten. Auch der Großteil der Anwälte, der im Rahmen der Beratungshilfe - und damit letztlich nicht kostendeckend - arbeitet, kann nicht wirklich fundiert beraten, sondern nur Massenabfertigung betreiben.
Daher wissen die Schuldner oft nicht wirklich, was im Verfahren der Restschuldbefreiung auf sie zukommt:
Das Bankkonto ist dicht;
Der Arbeitgeber erfährt vom Verfahren und kündigt eventuell;
Der Vermieter erfährt vom Verfahren und macht Schwierigkeiten;
Versicherungsprämien werden nicht mehr gezahlt;
Das Finanzamt schreibt das Auto ungefragt auf den Insolvenzverwalter / Treuhänder um;
Die Erwerbsobliegenheiten zur Erlangung der Restschuldbefreiung sind im Insolvenzrecht wesentlich schärfer als im Sozialrecht;
Im vereinfachten Insolvenzverfahren reicht schon eine falsche Angabe in den Formularen, etwa das Vergessen eines Gläubigers, als Versagungsgrund;
Auch bei Stundung der Verfahrenskosten müssen diese letztlich vom Schuldner getragen werden, wie die Bezeichnung Stundung schon vermuten lässt. Meist bleiben die Kosten im Ergebnis zwar beim Staat hängen, aber der Schuldner erhält mit der frohen Kunde, dass seine Schulden im Rahmen der Restschuldbefreiung erlassen sind, gleich eine Gerichtskostenrechnung. Diese bewegt sich im Regelfall so zwischen knapp 1.000 und 1.500 Euro.
Mit all diesen unerwartet auftretenden Fragestellungen und Problemen kommt der Schuldner zu seinem Treuhänder / Insolvenzverwalter. Der ist allerdings nicht sein Berater, sondern eher sein Gegner, der Falschangaben ebenso aufspüren muss wie eventuell verschwiegene Vermögenswerte.
Das Ergebnis eines Insolvenzverfahrens ist also gar nicht so selten eine voller Hoffnung, aber wegen der Restriktionen nur zähneknirschend absolvierte, sechsjährige Wohlverhaltensphase, die mit der Versagung der Restschuldbefreiung endet. In diesem Fall sieht sich der Schuldner den in den sechs Jahren weiter angestiegenen Altverbindlichkeiten und ergänzend den Kosten des Insolvenzverfahrens gegenüber.
Gelingt es dem Schuldner vielleicht sogar, vorhandene Vermögenswerte zu verstecken, ist die Restschuldbefreiung ein wirklich gutes Geschäft. Das ist gegenüber den Gläubigern und dem Verwalter / Treuhänder, zum Beispiel auch mangels Erkenntnismöglichkeit wie Schwarzgeld im Ausland, nicht auszuschliessen.
Trotz dieser unlauteren Versuche steht außer Frage, dass die Richtung, die der Gesetzgeber mit der Restschuldbefreiung eingeschlagen hat, grundsätzlich richtig ist.
Dies gilt umso mehr, wenn alle Beteiligten, einschließlich der Schuldner, ihre Arbeit trotz Kostendruck ordentlich erledigen. Vielleicht trägt der Gesetzgeber dem, wie in etlichen Gesetzesnovellen der letzten zehn Jahre, irgendwann mit einer Nachjustierung der Gebühren- und Vergütungsordnungen Rechnung.
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